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Aufstand der Fischer am Kaspischen Meer (Turkmenen in Iran) – turkmensahra
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Aufstand der Fischer am Kaspischen Meer (Turkmenen in Iran)

Die Chronologie eines Verbrechens: Die Erinnerungen an die Ereignisse im turkmenischen Dorfes Oghlidepeh und der Aufstand vom Fischer am kaspischen Meer.

Die Turkmenen sind ein Turkvolk, das etwa 13 bis 15 Millionen Menschen zählt und vor allem in der ehemaligen Sowjetrepublik Turkmenistan beheimatet ist. In diesem zentralasiatischen Staat sind rund 85 Prozent der Bevölkerung Turkmenen. Ferner leben Turkmenen im Irak, in China, Afghanistan, Russland, Tadschikistan, Syrien, in der Türkei und im Iran. In Zentralasien verteilt sich ihr Hauptsiedlungsgebiet auf die Republik Turkmenistan im Norden, Afghanistan und dem Iran im Süden.

Die iranisch-turkmenische Region erstreckt sich auf die drei Provinzen Gulistan und Süd Churasan. In Afghanistan leben Turkmenen überwiegend in den Provinzen Faryab, Jowzjan und Baghlan. Sprachlich sind sie mit den eigentlichen Türken, Aserbaidschanern, Usbeken, Kasachen und Kirgisen.

In Turkmensahra, einer nordiranischen Provinz im Iran, die an die Republik Turkmenistans angrenzt, leben rund zwei Millionen Turkmenen. Sie sprechen Turkmenisch, die meisten von ihnen sind islamische Sunniten. In der Islamischen Republik Iran gilt Persisch jedoch als Amtssprache und der schiitische Islam ist gemäß Artikel zwölf der iranischen Verfassung die offizielle Religion. Da Turkmenisch nicht offiziell anerkannt ist, wird in den Schulen nur auf Persisch unterrichtet. Die turkmenischen Kinder haben auf Grund ihrer mangelnden Persischkenntnisse oft größere Probleme, in der Schule zurechtzukommen.

Seit der Gründung der Islamischen Republik Iran am 1. April 1979 wurde die bereits latente Verfolgung der Turkmenen im Iran immer intensiver. Sie wurden wie Fremde behandelt, ihre Interessen systematisch missachtet. Sie werden auf wirtschaftlicher, politischer und kultureller Ebene diskriminiert.

Als Folge dessen ist die Arbeitslosigkeit unter den Turkmenen. Die iranische Regierung versucht außerdem, den politischen Einfluss der Turkmenen gering zu halten, selbst auf lokaler Ebene werden alle offiziellen Führungsämter von Schiiten, die aus anderen Teilen des Iran kommen, ausgeübt.

Turkmenische Menschenrechtler berichten, dass die örtlichen Behörden in Turkmensahra, die zu 98 Prozent von Nicht-Turkmenen besetzt sind, willkürlich die Felder der Bauern beschlagnahmen und sie privat weiterverkaufen. Diese Praxis wird von den Streitkräften gebilligt, ja sogar unterstützt. Aktuelles Beispiel hierfür ist das Dorf Oghlidepeh. Auf Anordnung der Behörden versuchte eine Spezialeinheit der Armee Ende 2005, die Felder von Oghlidepeh zu beschlagnahmen. Alle Einwohner des Dorfes, darunter auch Frauen und Kinder, beteiligten sich daraufhin auf den Feldern an einer Sitzblockade. Die Spezialeinheit versuchte vergeblich, die Einwohner gewaltsam von den Feldern zu vertreiben. Weil der Widerstand der Dorfbewohner zu groß war, schossen sie auf die Einwohner und verletzten einige von ihnen schwer. Trotz dieses brutalen Angriffs gaben sie nicht nach und blieben sitzen. Die Spezialeinheit gab schließlich auf und verließ die Felder.

Die traditionellen Fischer am Kaspischen Meer, die keine anderen Erwerbsquellen haben, werden durch extrem hohe Preise für Fischereirechte kriminalisiert, da sie diese Summen oft nicht zahlen können, aber trotzdem weiter fischen gehen müssen. Wer beim illegalen Fischen ertappt wird, kann laut iranischem Gesetz durch die Sicherheitskräfte der Regierung erschossen werden. Von diesem „Recht“ wird leider nicht gerade selten Gebrauch gemacht. Eines der Opfer ist der junge turkmenische Fischer Karim Hasangholi Kor, der am 06. Februar 2008 angeschossen wurde.

Tatort: Kaspien

„Turkmenische Fischer produzieren mehr als die Hälfte des Kaviars in der islamischen Republik“, sagt der Dorfälteste im Fischerdorf Chapakli, wo am 28. Dezember 2007 der erst 18-jährige turkmenische Fischer Hessametdin Khadiwar von der berüchtigten Küstenwache Irans, Harasate Darya, ermordet wurde. Chapakli liegt nicht weit von der iranischen Kaviaranlage Ashuradeh entfernt.

Turkmenische Menschenrechtsaktivisten berichten, dass innerhalb der letzten Jahren mindestens 13 weitere Fischer auf gleiche Art und Weise getötet wurden. Die Fischer sprechen von Serienmorden. In alle Fälle ist die iranische Küstenwache verwickelt. Die Opfer sind meist junge turkmenische Fischer.

„Seit dem Zerfall der Sowjetunion wurde das Kaspische Meer geplündert. Nun ist das Meer verschmutzt und leer. Alle interessieren sich nur für Öl und Gas“, sagt ein junger Fischer zornig. Die Islamische Republik leidet unter dem Rückgang der Kaviarexporte, einer Delikatesse, die im Westen mit bis zu 500 Euro pro Kilo gehandelt wird. Experten zufolge gibt es im iranischen Teil des Kaspischen Meeres weder Öl noch Gas. Die tiefste Stelle des Meeres liegt im iranischen Hoheitsgebiet, wo der Stör bevorzugt seine Eier legt. Daher boomt die Kaviarindustrie. Turkmenische Fischer, die Jahrhunderte lang mit dem Meer in harmonischem Einklang lebten und für die das Fischen zu den natürlichen und alltäglichen Dingen des Lebens gehörte, sind den Behörden nun ein Dorn im Auge, weil diese ihr staatliches Kaviarmonopol in Gefahr sehen.

Was geschah im Fischerdorf Chapakli?

In der Dämmerung des 28. Dezember 2008 fuhren Hesametdin und andere gleichaltrige Fischer in ihren kleinen Booten zum Fischen. „Ein riesiges Boot der Küstenwache fuhr direkt auf Hessametdins Boot auf und er starb. Ein anderer Fischer wurde schwer verletzt“, sagte ein Augenzeuge. Im Fischerdorf Chapakli kannte man den Waisenjungen und wusste, dass Hungersnot ihn zum Fischen zwang. „Wenn jemand illegal fischt, sollte man ihn festnehmen und ins Gefängnis stecken und nicht erschießen. Heute gehen wir zu den Behörden“, sagt der Dorfälteste plötzlich.

Allmählich schließen sich andere Fischer von Charikli, Komishdepe, Hojenepes und aus der gesamten Region an. Studenten und Intellektuelle zeigten ihre Solidarität. Aber bei den Behörden finden die Fischer kein Gehör. Um ihre Wut zu zeigen, schlagen die jungen Fischer Fensterscheiben ein. „Gerechtigkeit“, ruft die Menge. Nach örtlichen Angaben nehmen Hunderte Fischer an den Protesten in der Hafenstadt Bandartorkman teil.

Und plötzlich wird in den internationalen Medien über den Aufstand der turkmenischen Fischer am Kaspischen Meer berichtet. Die New York Post schreibt am 14. Januar 2008 über die Revolte der Fischer. BBC, Voice of Amerika, Deutsche Welle und Radio Free Europe informieren ebenfalls ausführlich über dieses Ereignis.

Die örtliche Regionalzeitung „Sahara“ berichtet, dass eine Schuldirektorin protestierte, weil ihre Schüler um ihre festgenommenen Väter und Brüder weinten. Sie wurde zusammen mit einigen Schülern festgenommen. Ein weiterer Schüler wurde von den Wächtern brutal verprügelt, so dass er in einem erzwungenen Geständnis angab, sein Vater habe zu den aufständischen Fischern gehört. Die Direktorin und zwei Schülerinnen kamen später frei. Den Angaben turkmenischer Menschenrechtler zufolge sitzen jedoch noch immer hunderte Fischer im Gefängnis.

„Wir sind hier, um euch zu töten“

Ein viertel Jahr nach der Ermordung Hessametdins fürchten sich die Fischer noch immer, auf das Meer hinaus zu fahren. Die Küstenwache Herassati triumphiert damit. Doch trotz der massiven Präsenz der Küstenwache riskieren junge unerfahrene Fischer weiterhin ihr Leben.

Karim Hasangholi Kor ist 24 Jahre alt und zählte nicht zu den mutigsten Fischern, die trotz der Gefahr auf’s Meer hinausfuhren. Deswegen blieb er mit drei Freunden an der Küste als ein Fischer am 6. Februar ablegte, um wieder Beute zu fangen. „Am heiligen Tag werden sie nicht schießen“, dachten sie.

Doch um 13 Uhr geschah es erneut: Ein riesiges Boot der Küstenwache steuerte direkt auf das Fischerboot zu, sodass der Angriff später wie ein „Unfall“ aussehen könnte. Karim und die anderen Fischer an Land schrien und schwammen zum Boot, um ihren Freund zu retten. „Die Wächter schossen wahllos auf uns“, beschrieb ein Augenzeuge die Szene. Auf dem Schiff stand „Gordan Daryai Ashuradeh“ – Küstenwache Ashuradeh.

„Warum schießen Sie? Wir tun doch nichts!“, protestierte Karim. Einer der Wächter schoss aus der Nähe auf ihn. Die Kugeln trafen seine rechte Hand. „Wir sind gekommen, um euch zu töten“, rief einer der Wächter.

Die Fischer schleppten Karim ins Krankenhaus. Die Wächter beschlagnahmten das gekenterte Boot und nahmen seinen unverletzten Besitzer fest. Die Behörden fürchten einen zweiten Aufstand der kaspischen Fischer. In den turkmenischen Städten wurde deshalb eine nächtliche Sperre angeordnet. Das Mobilnetz war in der gesamten Küstenregion nach den Protesten zeitweise unterbrochen. Telefonate, vor allem ins Ausland, werden abgehört. Kritische Internetseiten werden verboten und örtliche Zeitungen mit Verbot bedroht. Über das Schicksal der einzelnen Festgenommenen gibt es keine Informationen, es wurde eine Nachrichtensperre verhängt.

TS
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